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Wolfgang Meiners, Stiftung IffensArt Okt. 2024

Viele Orgeln in der Küstenmarsch

In den Küstenmarschen gibt es in sehr vielen Dörfern alte Kirchen, die mit alten Orgeln ausgestattet sind. Der Grund dafür ist ein gleichzeitiges Zusammentreffen einiger Ursachen.
Es geht um die Zeit nach 1000 n.Chr. Die aufgezählten acht Bereiche haben keine Rangfolge oder Priorität, alle sind gleichbedeutend. Sie greifen wie ein Räderwerk ineinander, und wenn nur einer dieser Aspekte gefehlt hätte, wäre die frühe Kultur der Orgeln wohl nicht entstanden. Sicher gibt es noch andere Ursachen, die vorliegende Auswahl erklärt aber ausreichend die Gründe der Orgelkultur an der Marschküste.

Der Marschboden --- Ernährung Reichtum
Gesellschaftliche Struktur --- Nachbarschaften
Christianisierung --- Soziale Botschaften der Christen
Feudalherrschaft
Lohnarbeit --- Jahreslohn
Materialien und Techniken
Wanderarbeiter, --- handwerkliche Qualifikation --- Bautrupps und berufliche Lehre
Musiktradition
Bestandserhaltung statt Renovierung

Der Marschboden: (Tonboden, Schlick, Küstenmarsch )

Der Reichtum der Region ist in dem besonderen Marschboden begründet.
Die Tonböden der Seemarsch sind mit den Tiden an die Küsten transportiert und sedimentiert worden (Watt). Die Watten haben einen beachtlichen Nährstoffumsatz und enthalten viel Kalk. Die Böden sind zwar salzig, aber haben eine hohe Fruchtbarkeit, die von Fischen, Kleintieren und Vögeln genutzt wird. Dadurch waren Fische etc. als Nahrung für die Siedler reichlich verfügbar.
Die Bodenstruktur ähnelt im Aufbau einem Stapel von Blättern wie im Buch oder im Blätterteig. Zwischen den Schichten kann bis zu 40% Wasser enthalten sein (Schichtgitter, Porenvolumen). In diesem Wasser können leicht lösliche Nährstoffe wie Nitrate oder Phosphate oder schwerer lösliche wie Kalk enthalten sein. Der Nährstoffspeicher wird von den Pflanzenwurzeln genutzt und durch Regenwasser mit zersetztem biologischem Material (Humus) wieder aufgefüllt. Das Wasser zwischen den Schichten friert im Winter und hält die Poren weit.
Der Wattboden bildet höhere Bänke, die bei selteneren Überflutungen von salzverträglichen Pflanzen besiedelt wurden. Es bilden sich die Salzwiesen. Die Siedler in der Marsch wussten solche höheren Flächen im Sommer (Juni und Juli) für den Anbau von Gerste zu nutzen, wenn das Regenwasser im Frühjahr das Salz der oberen Bodenschichten ausgewaschen hat. Aus der flachwurzelnden und schnell wachsenden Gerste wurden Graupen und Bier hergestellt.
Fischfang, Vogelfang, Sammeln von essbaren Salzwiesenpflanzen und Gerstenanbau erfordert jedoch eine erhebliche Arbeitsleistung. Es konnten in den autarken Hofstellen viele Bewohner und Nutztiere ernährt werden. Produkte wie Butter und Wolle gab es reichlich, und die konnten verkauft werden. An wenigen Standorten konnten Seehäfen angelegt werden (Langwarden, Atens), die schon um 1100 n.Chr. einen regen Handel betrieben.

Gesellschaftliche Struktur

Die Struktur der Gesellschaft vor der Christianisierung war vermutlich gut organisiert. Es gab etablierte Bauern auf ihren Wurten. Das Leben in der Küstenmarsch kann sehr verlockend sein, es gab einen Reichtum an Nahrungsmitteln. Die konnten allerdings nur mit sehr viel Arbeit erschlossen werden. Bei der Fahrt mit Schiffen sind Teams hilfreich, und auch beim Hausbau oder Fischfang ist es erfolgreicher, wenn mehrere Personen zusammenarbeiten. Manche Arbeiten können alleine erledigt werden. So das „Buttpetten“ im Watt, der Fang von Gänsen in Reusen, Nutzung essbarer Salzwiesenpflanzen, Schafhaltung, Melken und Weben. Probleme gibt es dann bei der Konservierung von Wasser und Nahrung im Winter. Dazu wurden besondere Techniken und Tricks genutzt, die wie die Verwendung von Gerste auch kulturprägend wurden.
Auf einem Hof wurde so jede Hand für die Selbstversorgung eines Hofes gebraucht. Die Friesen hatten ihre „friesische Freiheit“, gemeint ist Freiheit von Feudalherrschaft, aber nicht von Arbeit.
Geeignete Wohnplätze brauchen eine Anbindung an einen Wasserweg. Es gab entlang der alten Priele durch die Mäanderausformung in Abständen Uferbereiche, die als Anlagestellen möglich waren. Dadurch wäre die verstreute Verteilung der alten Wurten zu verstehen. Zwischen den Siedlern gab es den Austausch von Informationen, Erfahrungen und wohl auch einzelner Waren. Die Gesellschaft war solidarisch als Nachbarn. Regelungen gab es mit den „Burenbriefen“ (Buren = NachBARN), weil Streit etc. wohl auch vorkam.

Material verfügbar, technische Kenntnisse

Von Archimedes (200 v.Chr.) sind einige Erfindungen und technische Geräte überliefert. Kenntnisse zur Ingenieurkunst sind schon früh vorhanden. Aus der römischen Zeit sind viele Informationen über Handwerk und Materialien gut erhalten. Alte bearbeite Schmuckmetalle und Münzmetalle sind in Museen gesammelt. An Metallen wurde viel Kupfer, Silber und Bronze verarbeitet. Die Ledergerberei und Tuchweberei sind in Ägypten schon perfektioniert werden, und die Nutzung von Holz muss mindestens im Schiffbau gut beherrscht worden sein. Die Holzart und das Metall (Blei) muss wetterfest sein, das heißt Temperaturschwankungen und Feuchtigkeit dürfen die Funktion der Orgel nicht stören und sollten möglichst keine Korrosion verursachen.

Christentum

Die Idee der christlichen Religion mit ihrem Monotheismus hat sich in den ersten Jahren nach Chr. Geburt etabliert. Eine Botschaft dieser Religion ist die Missionierung, um sich die Erde untertan zu machen und möglichst weit ihre Religion verbreiten. Als größere Lebensgruppe in ein fremdes Land zu gehen, sich dort anzusiedeln und den Glauben friedlich zu verbreiten war wohl das Konzept der frühen Klöster. Mönche hatten zwar einen Anführer, lebten aber als Gruppe kooperativ. Das entsprach der friesischen Gemeinschaft. Neben der Bodenbewirtschaftung haben die Mönche ihre erlernte Kultur (römische Kultur) gepflegt und angewendet (Wasserbau, Steinbau, Handwerk, Nahrungskonservierung etc.). Große Kirchenräume und höhere Seedeiche wurden gebaut. Vor Beginn der feudalen Fremdherrschaft über die Friesen hat das Christentum wohl nicht durch Kriegsgewalt, sondern durch seine Leistungen und Fertigkeiten überzeugt.

Musiktradition

Musik hat eine alte Tradition. Sie wurde auch wohl nicht nur genutzt um Kriegsgegner zu verschrecken, sondern auch für den Genuss der Klänge und Melodien. Musik wird oft Göttern und Naturwesen zugeordnet. Die Tänze von Terpsichore im antiken Griechenland verehren eine Nymphe mit Leier und Plektrum. Bei der Entwicklung von Musik im gesamten Europa hat sicher die Christianisierung einen großen Anteil. Zum Beispiel gehen die Gregorianischen Gesänge auf Papst Gregor zurück (600 n.Chr.). Klangerzeugende Geräte gab es viele, und jedes Instrument hatte typische Klangfarben. Flöten waren üblich (Panflöte), und jede Pfeife erzeugte charakteristische Töne. Irgendwann gab es wohl die Idee „Eintonflöten“ zu machen und davon mehrere zu kombinieren. Diese mussten kombiniert und technisch organisiert werden. Diese Organisation ist in der Orgel erfolgt, die Orgel war entstanden. Wahrscheinlich haben die Christen ihre Orgelkenntnisse aus dem Mittelmeerraum in den Norden importiert und in den bereits bestehenden großen Kirchenräumen einen idealen Platz dafür gefunden.

Bestandserhaltung alter Orgeln

Wir kennen die Kurzlebigkeit der Moderichtungen. Die Zimmermöbel, die Rocklängen und Konsumgewohnheiten wechseln heute oft. Die Orgeln der Barockzeit haben zumeist ihren originalen Aufbau erhalten können. Der Grund könnte einfach sein: Der Neubau der Orgel erforderte viel Geld, und das war aus dem fruchtbaren Boden als reichliche Nahrungsmittel auch herauszuholen. Ein bedeutender Pflanzendünger ist der Kalk, von dem der im Seewasser und dann auch im Sedimentboden viel vorhanden ist. Die gute Kalkversorgung wurde in etwa 100 Jahren in den tiefen Unterboden ausgewaschen. Stattdessen beginnt chemisch eine Verlagerung von dreiwertigen Eisen- und Aluminiumionen in den Untergrund. Dort entsteht damit eine wasserundurchlässige Sperrschicht, die blaue Knickmarsch. Im Bereich der Pflanzenwurzeln bildet sich dann eine Staunässe, in der nur ertragsarme Niedermoorgräser wachsen. So ist die alte Marsch feucht (Wisch, Feddern), und Bauern verarmen. Geld für eine Veränderung der Orgeln fehlte.

Lohnarbeit

Um die Zeit 1200 n.Chr. hatte das Geld noch keine besondere Bedeutung. Selbstversorgung war üblich, und die Höfe hatten Möglichkeiten der Produktion von Kleidung und ausreichender Ernährung. In vielen Regionen wurde gehungert (Geest, Bergregionen). So war die wichtigste „Bezahlung“ in der Küstenmarsch das Sattwerden aller Bewohnerinnen. Die Höfe waren als Teamarbeit organisiert, und alle mussten mitarbeiten. Auch Frauen arbeiteten im Betrieb, in der Küche waren einfache zeitsparende Speisen üblich (Eintopf). Für Handwerker war die wichtigste Entlohnung die Möglichkeit satt zu werden. Arbeitsstunden waren kein Maßstab. Erst durch die Fremdherrschaft von Feudalherren wurden Steuern erforderlich, die zuerst auch als Naturalien abgegolten wurden. Zum Beispiel konnten Strafen bei Gericht mit Fässern voll Bier abgegolten werden. Viele Handwerker kamen als wandernde Bautrupps ins Land, sie bauten Kirchen und eben auch Orgeln. Auch hier war die Nahrungsversorgung wichtiger als eine Geldentlohnung. Bei den Orgeln sind die „Bauherren“ bekannt, die Anzahl der aktiven Handwerker jedoch nicht.
(Dokumentiert: Umweltstation Iffens, 1873, 30 Maurer, 70 Zimmerleute für 8 Monate.)

Handwerk

Allgemeine Fähigkeiten zur Betriebsführung und reichlicher Versorgung mit Lebensmitteln waren in den Höfen gut bekannt. Spezielle Handwerke wurden nur zeitweise benötigt. Dazu entstanden wandernde Expertengruppen, die nach Bedarf von Hof zu Hof wechselten. Solche Gruppen nahmen „Lehrlinge“ auf, die in einigen Jahren alle Kenntnisse und Fertigkeiten für ein praktische Handwerk erwarben. Ohne Schulen und Lehrpläne wurden auch Spezialfähigkeiten wie technisches Zeichen und Schreiben erlernt. Lehrlinge konnten auch ihren Ausbildungsmeister wechseln und dadurch vielseitige Varianten ihres Handwerks kennen lernen.

Hinweise auf mehr Informationen:
Technik, Geschichte etc.: https://de.wikipedia.org/wiki/OrgelTele,
Tonbeispiele, Berichte aus NDR Kultur:
https://www.ndr.de/kultur/Orgeln-sehen-und-hoeren,orgelwelt106.html
von Prof. Konrad Küster, der seit Jahren in der Nordregion über die Orgelkultur in Marschen forscht:
https://www.orgelstadt-hamburg.de/arp-schnitger/


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