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Über die Probleme von Berufstätigen mit der privaten alltäglichen Vergiftung

W. Meiners 1991

Wo sich Gifte - angeblich oder tatsächlich - nicht vermeiden lassen, am Arbeitsplatz, gibt es ein ausuferndes Regelwerk, das den Arbeit-nehmer schützen soll:
Die Gewerbeaufsicht wacht über die Einhaltung von Schadstoffgrenzwerten am Arbeitsplatz, die Berufsgenossenschaft fordert eine ausrei-chende Schutzkleidung und Notfallhilfen, die Arbeitsmedizin stellt frühzeitige Gesundheits-schäden fest.
Die Gefahrstoffverordnung informiert über die richtige Handhabung von gefährlichen chemischen Stoffen. Auch Transport, Lagerung und Verhalten bei mög-lichen Unfällen sind mit der Gefahrgutverord-nung geregelt.

Bei Schäden, die wir uns im Arbeitsleben mit Chemikalien zuziehen, greift der Versicherungs-schutz, und daher sind auch besonders risiko-behaftete Arbeitsplätze mit besonders hohen Versicherungsbeiträgen belastet.

Natürlich muß von Fall zu Fall erwiesen sein, daß der Gesundheitsschaden nicht außerhalb der Arbeitszeit entstanden ist, also beim Umgang mit " normalen Alltags-Chemikalien" .
Das kann ungeahnte Konsequenzen haben, etwa wenn ein Kokereiarbeiter starker Raucher ist, oder wenn ein Automechaniker zuhause Schnaps säuft. Die Berufsversicherung wird dann seinen Bronchialkrebs oder den Leberschaden mit dem Mißbrauch von alltäglichen Genußmitteln begrün-den können, sie wird den Schaden als selbst-verantwortet klassifizieren und muß nicht zahlen, spart also viel Geld.

Und wenn du nicht arbeitest?
Der Freizeitmensch ist wesentlich schlechter vor gefährlichen Chemikalien geschützt, als der Mensch am Arbeitsplatz. Eine schwer überschau-bare Vielzahl von Giften in zumeist geringer Konzentration begleitet sein Alltagsleben über 16 Stunden am Tag.
Gelegentlich gelingt es, bei einem Gesundheits-schäden "durch die Einflüsse der Zivilisation" auch die eindeutige Quelle eines chemischen Giftes zu benennen. Beispiele dafür sind die chemischen Reinigungen, Schornsteine in der Nachbarschaft, Holzschutzmittel in Wohnungen oder auch Gifte, die aus bebauten Müllplätzen ausgasen.

Solche gewerbliche und industrielle Quellen von Schadstoffen lassen sich also gut dokumen-tieren. Um ihre Wirkung auf unsere Gesundheit in Grenzen zu halten, gibt es ein Immisions-schutzgesetz, eine technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft, Höchstmengenverordnungen im Trinkwasser usw.

Ein Schutzmantel von Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien soll Gesundheitsschäden durch Chemikalien auch für Privatpersonen vermeiden helfen.
Leider ist dies kein Edelstahlmantel aus einem Guß, sondern eher ein Flickwerk mit dicken und dünnen Stellen und mit einigen Löchern.

An manchen Stellen ist der Mantel unver-antwotlich schlecht ausgestattet. Schwach- stellen müssen gefunden und geflickt werden.
Drei Löcher in diesem Mantel zum Schutz der Privatmenschen beschreibe ich hier:

Apfelsine mit Handschuh

Die Schalen von Südfrüchten sind oft mit giftigen Chemikalien überzogen. Dadurch können die beliebten Inportwaren länger gelagert, sowie besser und ganzjährig gleichmässig im Markt verteilt werden. Die Chemikalien sichern also die Konkurenzfähigkeit gegen den heimi-schen Apfel und bedeuten einen wirtschaftlichen Vorteil für Handel und Produzenten.
Die verwendeten Chemikalien müssen gekennzeich-net sein; Orthophenylphenol und Thiabendazol sind die häufigsten Haltbarmacher. Derart be-handelte Südfrüchte sind dann für den Verzehr ohne Schale geeignet.

Fassen wir solche Früchte mit der ungeschützten Hand an, so überträgt sich das Orthophenyl-phenol auf die Haut, es haftet dort sehr gut und dringt auch in die Haut ein, es ist haut-resorbtiv.
Durch solche Chemikalien werden oft Hautschäden und Allergien verursacht oder verstärkt. Die Kennzeichnung der Stoffe ist Pflicht, nicht jedoch der Hinweis auf die Risiken und Neben-wirkungen, wie sie bei Medikamenten üblich sind.

Will sich der Normalbürger vor Schäden schüt-zen, so kann er die Apfelsine mit der rechten Hand anfassen und die Schale abnehmen, dann mit der sauberen Linken das Fruchtfleisch greifen und essen. Er wird dann die rechte Hand mit einer speziellen Waschpaste von dem anhaftendem Orthophenylphenol befreien (dekontaminieren). Tut er das nicht, so übertägt sich das Gift in den Körper.

Er ist als Freizeitmensch weitgehend unge-schützt vor den Giften, im Unterschied zur Situation am Arbeitsplatz:

Leckt er also innerhalb der Arbeitszeit außen an der Apfelsine, um seiner Zunge einen wunder-bar pelzigen Betäubungsrausch zu bescheren, so wird der Arbeitschutzbeauftragter ihn daran hindern müssen und mit Rausschmiß drohen.
Ein lohnabhängig beschäftigter Arbeitnehmer ist, rein rechtlich gesehen völlig anders gestellt: Vom Gesetzgeber und den Versich-erungen sind Vorschriften zum Umgang mit solchen Gefahrstoffen erlassen worden.

Gibt es einen Unfall mit Othophenylphenol, so darf der ausgetretene giftige Stoff nicht mit den Händen beseitigt werden. Die Feuerwehr hat besondere Einsatzmittel und kann für technische Nothilfe gerufen werden.
Ist etwa in einem Transportkontainer Ortho-phenylphenol freigesetzt worden und sind des-wegen andere Packstücke oberflächlich verun-reinigt, so darf nur mit Chemieschutzanzug, mit Atemschutz oder anderen geeigneten Einsatz-mitteln gearbeitet werden. Solche Maßnahmen sind auch dann vorgeschrieben, wenn die Ober-fläche der Packstücke nicht stärker vergiftet ist, als z.B. die Oberfläche von Apfelsinen.

Soweit die gesetzlichen Regelungen, aber es gibt einen wichtigen Bereich, in dem diese Regelungen bisher noch nicht greifen:
Dort wo die lohnabhängig Beschäftigten in der Obstabteilung des Supermarktes arbeiten. Sie nehmen die Südfrüchte oder die Beutelver-packungen in die Hand, um sie dekorativ auf dem Tisch zu stapeln. Dabei kontaminieren sie ihre Hände mit Orthophenylphenol und Thiabendazol.

Für die gesetzlich vorgeschriebene Sicherung dieser Arbeitsplätze würden ellbogenlange Schutzhandschuhe und eine einfach Kombigasmaske mit Aktivkohlefilter vermutlich ausreichen. Die Gewerbeaufsicht muß solchen Schutz fordern. Wie eine Verkäuferin auf Kunden wirkt, die ausge-rüstet ist, als wolle sie eine ausgebrannte Chemiefabrik entseuchen, ist eine andere Frage.

Opfern wir also bisher die Gesundheit der Ange-stellten, um die Gefahren durch Chemikalien vor dem Privatmenschen zu verbergen?

Benzol auf der Strasse

Benzol ist in der Chemie als sehr giftiger Stoff bekannt. In Labors und in der Chemie-technik wird das sehr gute Lösemittel nur noch selten und dann nur in speziellen geschlossenen Anlagen verwendet. Benzol ist daher zu einem ungeliebten Abfallprodukt der Petrochemischen Industrie geworden und deswegen recht preis-günstig zu haben. Lange Zeit durfte Benzol noch in Fußboden-reinigern untergebracht werden, aber kranke Putzfrauen und Schüler mit Kopfschmerzen waren die Folge.

Benzol drohte Abfallstoff zu werden, womöglich noch mit kostenpflichtiger Entsorgung. Nun, ein Glücksfall kam der Petrochemie zur Hilfe: nach der Benzin-Blei-Verordnung wurde Benzol verstärkt dem Benzin zugemischt, es ersetzt zum Teil die Wirkung des Blei für die Motortechnik. Die Folge ist nun, daß ich pro Tankfüllung im Auto vier Liter Benzol erwerbe, mit 56 Litern Benzin vermischt. Als Privatmann darf ich heute also mit Benzol umgehen, beim Tanken die Dämpfe einatmen und beim Autostart in der Garage unverbranntes Benzol in der Luft verteilen.

Gesundheitsschäden bei Arbeitnehmern und Chemikern durch Benzol sind gut bekannt und haben zum Verbot oder zu den Schutzvorschriften in der Chemietechnik geführt.
Leider sind diese Daten denen wohl nicht be-kannt, die für den Schutz der allgemeinen Bevölkerung nach dem Immissionsschutz verant-wortlich sind. So warten wir also geduldig auf den Anstieg der Krebsrate, und das heißt in die Begrifflichkeit der Statistiker übersetzt, auf signifikant hohe Werte, die wir nicht mehr hinter "Allgemeiner Schädigung durch diffus verteilte Umweltchemikalien" verbergen können. Wir stellen erhöhte Benzolwerte im Blut von Stadtkindern fest, aber bis diese Kinder deutlich krank werden, dauert es eben noch ein paar Jahre.
Bisher sind also nur die lohnabhängig Beschäf-tigten gegen das giftige Benzol in Benzin geschützt.
Und das hat bemerkenswerte arbeitsrechtliche Folgen:
Der Tankwart verhält sich solange richtig, wie er die BürgerInnen selbst tanken lässt, nur wenn er beim Tanken selbst Hand anlegt, geht er in unzulässiger Weise mit Benzol um. Auch KraftfahrerInnen im Beruf, ob mit dem Taxi oder bei einer Dienstfahrt, haben Probleme mit ihrer Arbeitsschutzverordnung. Werden sie krank durch Benzol, so haben sie eine berufliche Schädigung und keine private.

Aber solange wir noch auf elegante Weise billiges Benzol loswerden müssen, und solange unsere Krankenhäuser offensichtlich schlecht ausgelastet sind, wird es schwer sein, gegen die Verwendung solch großer Mengen von Benzol im Benzin zu argumentieren.

Wollen wir auf dem Boden der jetzigen Gesetze bleiben, so müßen wir verhindern, daß lohnab-hängig Beschäftigte selbst tanken oder Garagen benutzen. Denkbar wären Wege, die wir bei der Reinigung in Atomkraftwerken gelegentlich gehen: Kurzzeitbeschäftigung von Schülern, von Ausländern oder sozialen Aussenseitern.
Die "Tankhilfe" oder den Job als "Garagen-anlasser" könnten wir dann indirekt über Trinkgeld vergüten und nicht über Lohn; denn dann hätten wir ja wieder den Konflikt mit der Schädigung durch Benzol am Arbeitsplatz.

Stau - Verbot

Die Zahl der Kraftfahrzeuge wächst und so auch die Verkehrsdichte.
Eine Folge davon sind die Staus, denen wir täglich viel aktuelle Sendezeit im Radio widmen. Laufende PKW - Motoren produzieren Abgase mit chemischen Stoffen, die unserer Gesundheit schaden. Am Arbeitsplatz werden wir vor zu langer Einwirkung solcher Schadgase geschützt: VerkehrspolizistInnen oder Auto-mechanikerInnen kennen die MAK - Werte, deren Einhaltung auch vor Ort von der Gewerbeaufsicht überwacht werden.

Aber was ist mit den Autofahrern, die beruflich unterwegs sind. Also Taxifahrer, Kundendienste, Paketdienste und alle, die die Fahrtkosten als Dienstfahrt oder Fahrt zum Arbeitsplatz geltend machen; Personen also, die in dieser Zeit besonders als ArbeitnehmerInen geschützt sind.
Kommen solche Personen in einen Stau, so ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, daß sie Schadgasen in unzugelassenen hohen Konzen-trationen ausgesetzt werden.
Ihre MAK - Werte und die Halbstundenmittelwerte werden überschritten. Staus sind heute keine "Unvorhersehbaren Ereignisse" mehr, sondern Regelfall.
Nun könnten wir das Problem in den Griff be-kommenm, wenn wir die Staus verbieten. Ebenso unrealistisch wäre die Forderung, daß Berufs-fahrer nach 15 Minuten - bei relativer Wind-stille im Stau - das Fahrzeug verlassen müßten. Die Privatfahrer dürfen natürlich sitzen bleiben.
Besser sind schon Vorschläge für eine Sauerstoff- oder Druckluft-Atemmaske, wie wir sie aus Flugzeugen für den Notfall kennen.
Bis zur Einführung solcher Techniken muß der Arbeitgeber mit den zuständigen Arbeits-schutzbeauftragten dafür sorgen, daß nur staufreie Fahrstrecken benutzt werden. Der Arbeitnehmer kann während der Fahrzeit natürlich auch unbezahlten Urlaub nehmen, damit unterliegt er als Privatperson im Stau keinen besonderen Schutzvorschriften und darf sich ungestört selbst vergiften.
Natürlich kann auch die Benutzung der Bundes-bahn vorgeschrieben werden.

Diese drei Beispiele mögen zeigen, wie schwierig es heute ist, als ArbeitnehmerIn die geregelten Vorschriften für die Handhabung gefährlicher chemischer Stoffe einzuhalten. Am Arbeitsplatz mag das zumindest aus rechtlicher Sicht leicht möglich sein.
Aber wehe der Mensch verläßt den Schutzraum der Arbeit und widmet sich der Freizeit.


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