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    Bleiben wir auf dem Teppich!

    Text erschienen in „Lehrerservice Nr 16“ Herbst 1982

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    Bei vielen Tagungen zur Umwelterziehung und bei Treffen der Umweltverbände war ich sehr unzufrieden mit der Art, in der wir uns mit Natur und Umwelt befassen. Deswegen habe ich mir einige Gedanken gemacht, um Klarheit über meine Unzufriedenheit zu bekommen. Ich habe unsere Begeisterung für Natur und Umwelt verglichen mit der Begeisterung eines Teppichverkäufers, und dabei ist der folgende Text entstanden:

    Was geschieht in uns, wenn wir als Mensch der "Natur" begegnen?

    Zeigen wir dabei deutliche Verhaltensmuster, und gibt es dabei Spielregeln ? Solche Fragen sind sicherlich in langen wissenschaftlichen oder noch schwerer verständlichen Analysen beantwortet worden. Hier versuche ich eine Antwort aus der Sicht der alltäglichen Erfahrung, aus einem Vergleich mit den Erlebnissen beim Teppichverkaufen.

    So, wie wir der Natur und Umwelt begegnen, so verhalten wir uns auch oft beim "Teppichkauf" .

    Drei verschiedenen Varianten gibt es :

    1. Leidensdruck

    Hier verkaufen wir Teppiche durch das Fehlen von Teppichen

    2. Lokaltermin

    Manchmal stehen die TeppichverkäuferInnen ehrfurchtsgebietend neben dem Teppich zur Demonstration seines Wertes.

    3. Unmittelbarkeit

    Manchmal stehen sie auch mitten auf dem Teppich, um seine Brauchbarkeit zu zeigen und um das Leben auf dem Teppich vorzumachen, - vorzuleben, daß es ohne Teppich kein Leben gibt.

    Dies sind drei sehr vereinfachte Arten, wie ich Teppiche verkaufen könnte (möge der Teppichhandel mir verzeihen). Jedoch diese drei Möglichkeiten, uns selbst und unsere Mitmenschen für etwas zu begeistern, haben auch wir in unserer Absicht, Natur und Umwelt zu schützen und zu retten. Besonders deutlich zeigen sich diese Varianten bei der Gestaltung von Ökotreffen oder Tagungen der Natur- und Umweltverbände.

    1. Variante" Leidensdruck"

    Stellen wir uns einen Teppichverkauf in einem teppichlosen Raum vor. Nur durchs Fenster ist vielleicht ein wenig Teppich zu sehen, und in den Pausen darf, wenn unbedingt gewünscht, für begrenzte Zeit zu einem Teppich gegangen werden. Jedoch werden einige sehr farbige Dias von Teppichen gezeigt, und auch eine Overheadfolie mit einem schönen Rahmen und exakten Schriftzügen zeigt einen Wollwebteppich. Können so Teppiche verkauft werden?

    Hier besteht wohl die beste Chance dann, wenn der Raum ein leerer Rohbau ist, ein Gefühl für den Nicht-Teppich wird geweckt, und das Bedürfnis einen Teppich zu besitzen aus dem Leidensdruck entwickelt.

    Die wohl meisten Treffen über Themen des Umwelt- und Naturschutzes finden im Prinzip des Leidensdruckes statt. Das eigentliche Thema ist sehr weit weg, wir haben uns distanziert: Über Luftverschmutzung und Waldsterben reden wir in verrauchten holzfreien Sälen, über Trinkwasserschutz mit dem Weinglas in der Hand, über Böden und Landwirtschaft mit dem Zuchtschweineschnitzel oder der Bockwurst zum Mittagessen. Themen wie Umweltchemikalien, Energie, Müll werden oft ungewollt vorgeführt (Hygienechemie, überheitzte Räume, Einwegflaschenautomaten).

    Im Teppichbeispiel entwickelt sich durch den vielen rohen Beton eine Sehnsucht nach einem farbigen Teppich. Ist nach den beschriebenen Ökotreffen die Sehnsucht nach der freien Natur geweckt worden ? Haben wir den Leidensdruck in konstruktive Kampfeslust umgesetzt?

    Mich selbst machen solche Treffen immer unglücklich und aggressiv, denn die Chance des Leidensdruckes wird vertan, und die mögliche innere Revolution kippt in Resignation um. Zusätzlich wird auch noch jeder aktive Schritt in Richtung Natur unterdrückt oder verdrängt. Dazu dienen klassische Killerphrasen:

    zB.:

    --- "Wenn ich als Einzelner aufhöre zu rauchen, werden die Tannen auch nicht wieder gesund;

    --- diese eine Mülldose kann unser Konsumsystem auch nicht ändern;

    --- die Bosse verschwenden Tausende von Kilowattstunden, da kann dieser überheitzte Tagungsraum nichts ausmachen...usw.

    Struktur und Gestaltung des Tagungsortes prägen unser Denken, unsere Gespräche und Taten. Dies geschieht oft nahezu unmerklich durch Kleinigkeiten wie Plastikbalken, Kunstblumen, Termineingrenzung, Sitzordnung, Leuchtstofflampenlicht, Resopalwelten, Wandgestaltung, Lautstärken, Verzehrerwartungen usw. Gegenüber unserem eigentlichen Anliegen (wenn es nicht die Unwirklichkeit oder der Leidensdruck selber ist) machen wir Kompromisse.

    Bei den Naturschutz- und Umweltverbänden scheinen diese Kompromisse selbstverständlich zu sein. Machen das andere Verbände auch ?, würde denn der Schwarzwaldverein regelmässig auf den ostfriesischen Inseln tagen, oder der Industrieverband immer im Jugendwaldheim ?

    Ich bin von dieser ersten Variante "Leidensdruck" nicht begeistert, und ertrage dann zähneknirschend, daß mein Schafwollpullover noch drei Tage später nach Tabackrauch stinkt (und nicht so harzig, wie es dem Tagungsproblem "Wald" entspräche). Mir werden viele, auch reale und logische Gründe für die Ökotreffen der leidenden Art mit grosser Distanz zur Natur genannt. Da diese Art von Ökotreffen (noch) sehr verbreitet ist, brauche ich die Vorzüge - derentwegen sie so beliebt sind - nicht extra zusammenzustellen.

    Wie mancher Leser nun schon merkt, bin ich kein Freund der sehr mittelbaren Auseinandersetzung mit Natur und Umwelt nach der Methode "Leidensdruck". Ich bevorzuge die anderen Alternativen, solange wir sie noch haben.

    2. Lokaltermin

    Bei dieser Methode des Teppichverkaufes stehen wir ehrfurchtsvoll neben dem Teppich. Das edle Stück liegt uns zu Füssen, wir haben es voll im Blick. Dies ist eine Art "Lokaltermin". Wir stehen am Ort des Geschehens, das Problem in Sichtweite. Dort, wo in der Natur der Teich zugeschüttet, die Allee abgeholzt oder die Hecke planiert werden soll. Oder wir stehen dort, wo Giftmüll liegt (in Sichtweite), oder wo Wasser und Luft vergiftet werden.

    Ein Lokaltermin ist unbequem: schlechtes Wetter ertragen, unbekannte Wege gehen, zu Fuss laufen, keine Kaffeetasse oder Bierglas zum festhalten, stehen, drängeln, warten. Die Debatte beschränkt sich beim Lokaltermin auf nur ein Thema, das aber dedurch ernsthafter besprochen wird. Der Lokaltermin ist also umständlicher und erfordert mehr Aufwand und Aufmerksamkeit von allen TeilnehmerInnen. Wir müssen seine Vorteile deutlich machen, um Zustimmung zu solchen Lokalterminen zu finden. Das häufigste Argument gegen diese direkte Nähe des Problemobjekts: "Wir wirklich Engagierten wissen aber doch alle, wie es dort aussieht, wir müssen da nicht extra hingehen."

    Wird es beim Teppichkauf auch heissen können " Als wirklicher Kenner von Teppichen brauche ich mir nichts ansehen, ich kaufe den Teppich aus dem Katalog !" Doch Teppichläden sind nicht überflüssig.

    Wir haben noch die dritte Möglichkeit des Kontaktes mit unserem Anliegen, Begeisterung für Teppiche bzw. Umwelt- und Naturschutz zu wecken.

    3. Unmittelbarkeit

    Vielleicht erinnern wir uns an einen Strassenhändler mit einem Teppich in der Hand. Er hält ihn hoch, streichelt und drückt ihn. Er zeigt seine Haltbarkeit und Brauchbarkeit. Seine Freude über die Schönheit des Teppichs überträgt sich auf die Käufer. Er lebt mit dem Teppich, Teppich ist Leben.

    Vielleicht macht er sogar den Eindruck, als würde er am Teppich mehr Freude haben als am Geld das er dafür verlangt. Solch ein "mitten auf dem Teppich stehen"? gibt es auch in der Natur: Wir gehen vom Weg ab, beobachten, hören zu, schmecken und fassen Dinge unmittelbar an.

    Wer eine SO2-Nasskerntanne sieht und riecht, sie dann auch fällt und mit gesunden Bäumen vergleicht, der weiß wofür er kämpft. Mitten auf dem Schuttplatz, direkt an der Durchgangsstrasse oder auch am Rande eines intakten Hochmoores werden Argumente unmittelbar erlebbar - die Natur gewinnt an Einfluß, die Wahrheit wird weniger anthropozentrisch. Natürlich bleiben meine Schuhe, Hände und vielleicht auch mein Gewissen nicht sauber, aber ich weiß, wovon ich spreche, worüber ich urteile.

    Solche Ökotreffen gefallen mir am bestem, aber sie sind selten. Ein Ziel der Umwelterziehung innerhalb der Umwelt- und Naturschutzverbände muß die Gestaltung von Tagungen in dieser unmittelbaren Art sein.

    Bisher sind in der BRD noch wenige "Lern" - orte bekannt, wo solche Tagungen in der Natur möglich sind. Trotzdem gibt es sehr viele, nur nutzen wir sie nicht. In der Station Umwelterziehung in Iffens werben wir für die Schaffung und Nutzung solcher Lernorte, wo wir der Natur nahe sind, und wir beraten bei deren Gestaltung. Zumindest versuchen wir das, denn die Nachfrage ist gering.

    Es ist immer noch üblich ein teures Nobelhotel aus ortsfremden Baustoffen neben ein "Biotop" zu stellen und die Umgebung gärtnerisch zu verfremden. Solche städtischen Ökostationen sind in der Stadt besser zu betreiben.

    Voll hinein, aber wie ?

    Bei unserer Werbung für Ökotreffen und Tagungen nach der unmittelbaren Art stossen wir auf viele Fragen und Probleme. Vier davon will ich hier andeuten:

    1. Nur noch Tagungen auf der grünen Wiese?

    Die hier zu erhebende Forderung wäre, den Anteil der Ökotreffen mit unmittelbarem Kontakt in der Natur und direktem Bezug zum Problem zu erhöhen. Also von zur Zeit unter 5% auf ca. 30-50 % aller Ökotreffen . Ausnahmslos alle Treffen so zu gestalten ist wohl nicht nötig.

    2. Persönlicher Einzatz

    Solche Treffen der dritten Art sind mit wenigen Teilnehmern (ca.12) besonders effektiv. Dadurch zertrampeln wir die Natur nicht und die Gruppe ist überschaubar. Auch ist mindestens ein(e) LeiterIn nötig, um unbekannte Dinge zu erklären oder auch um zu ungewohnten Gebrauch der Sinne anzuleiten. Die TeilnehmerInnen sollten sich möglichst kennen oder sich persönlich vorgestellt haben. Wir selber, also unsere eigene Persönlichkeit ist, genauso wie die Natur auch, unmittelbarer erfahrbar, für uns selbst, und für andere. Je kleiner die Gruppe, desto perönlicher wird die Debatte oder der aktive Einsatz für Natur und Umwelt sein.

    Wir müssen versuchen, unsere Erlebnisse und unser Leben mit der Natur glaubhaft zu machen, und unsere Überzeugung so vermitteln, daß sie nachmachbar ist. Bei grösseren Tagungen in der Umwelterziehung wird versucht diesem Anspruch durch kleinere Arbeitsgruppen gerecht zu werden. Ein Gruppenleiter wird dann die Unmittelbarkeit mit der Natur herstellen können. Das ist oft eine schere Aufgabe, wenn der Rahmen der Tagung (Termine, Sauberkeit, Plenartreffen, Monologe, Licht und Heizung) wieder auf Distanz und Unpersönlichkeit angelegt ist.

    3.Die Sinne als Basis

    Oft haben wir wenig Übung mit dem unmitelbaren Kontakt mit der Natur. Sich selbst als ein fühlender oder handelnder Mensch in der Natur - und als Teil der Natut zu entdecken, kann durchaus tief erschüttern und sehr viel Zeit beanspruchen. Wir sind zumeist nicht im positiven Dialog mit unserer inneren und äusseren Natur aufgewachsen und haben viel nachzuholen. Dafür brauchen wir Zeit, besonders wenn wir unsere Liebe zur Natur zum ersten Mal geniessen. Die Zeit ist gut investiert, denn die Schulung unserer Sinne ist eine wichtige Basis, ein Fundament, um darauf unser Handeln, Fühlen und Wollen aufzubauen.

    Wenn mir beim ersten hautnahen Problemerlebnis die begrenzte Zeit des Ökotreffens nicht ausreicht, muss ich in derselben Umwelt selbständig meine Sinne weiterwachsen lassen, damit sie tragfähig werden. Denn Fundamentalerlebnisse "an sich" sind unsinnig wenn nichts darauf aufgebaut wird.

    Am Beispiel der kranken Tanne kann ich zeigen, wie die Sinne als Basis einbezogen werden, und wie darauf das Denken und Handeln aufbaut. Einige Stichworte mögen genügen.

    Basiserlebnisse:

    Tanne sehen, erkennen, Rinde anfassen, riechen, Stamm schütteln, klettern, festhalten, Zweige belasten, Rauschen des Windes hören, Zweigmuster, Rindenmuster, Wurzeln suchen, verfolgen, messen, Axt schwingen, Axtschläge hören, spüren, Hall im Wald (Raumempfinden), Holzspäne brechen, riechen, schmecken, Länge vom Stamm, Gewicht, Alter, Zahl der Zweige, Stamm aufsägen, Nasskern anfassen, riechen usw.

    Dieser Kontakt mit der Natur, mit dem Thema unseres Anliegens (Verhindern des Waldsterbens) ist nur in der Variante "Unmittelbarkeit" möglich.

    Auf solche Basiserlebnisse baut dann einiges auf.

    Stufe 1:

    Kenntnisse vom Baum, zur Pflanzengemeinschaft, zum Boden, zum Waldbau, zur Baumgesundheit, zum Jahreslauf, Tierwelt des Waldes, Waldwirtschaft,usw.

    Stufe 2:

    Probleme (Schäden) durch Bewirtschaftungen wie Monokultur oder Wasserbau, Freizeitgewohnheiten, Nutzholzverwendung, Holzverschwendung, Besitz- und Interessensverhältnisse im Waldbau, Schadstoffe in Luft und Wasser, ihre Quellen, Zweck der Produktionsprozesse, bei denen die Schadstoffe entstehen (Industrie, Auto, Haushalt,usw.) Schaden-Nutzen-Situation, Bezug zu unseren Lebens- und Konsumgewohnheiten, Möglichkeiten des Einzelnen und vieler einzelner Bäume und Wälder zu sanieren, politische Wege, Bäume pflanzen, pflegen. Wir haben historisch emotionale Beziehungen zum Wald, Baum in der Literatur, Baumlieder, Sprichworte, usw. Weiterhin müssen wir unser Verständnis über das Waldsterben weitergeben, Politiker, Gesetzgeber, Bürger, Verursacher informieren und Forderungen stellen.

    Ist diese Übersicht zu viel, nicht machbar, oder haben wir es nur noch nicht probiert? Die Stichworte der Stufen 1 und 2 sind ohne die Basiserlebnisse tatsächlich schwer umzusetzen. Wir verlieren schnell den Blick und das Gefühl für "das Ganze" bei der Diskussion um Details. Wir verzetteln uns, und unsere Arbeit wird zeitraubend und wenig überzeugend. Vielen Ökoaktivisten scheint es widersprüchlich zu sein, daß es zeitsparender ist, sich ausreichend Zeit für die Pflege der Basiserlebnisse in der Natur zu nehmen. Denn das häufigste Argument gegen diese Forderung der Umwelterziehung ist tatsächlich: "für so einen Sinneskram haben wir keine Zeit !"

    4. Ist Unmittelbakeit immer gewünscht ?

    Wenn nun aber die Mehrheit der Umwelt- und Naturschützer doch offensichtlich die Ökotreffen den ersten Art (Stadtkneipe, Beton-Tagungsstätte, etc.) bevorzugt, woher nehme ich dann als Umwelterzieher das Recht, etwas Unbeliebtes zu fordern?

    Wenn wir uns als Pädagogen (und Umwelterzieher) ernsthaft nach dem "Kundenwillen" richten sollen, müssen wir Weissmehl, Tablettensucht, Zuckerkonsum und die Bild-Zeitung als Vorbild nehmen. Wir dürfen also doch Unbeliebtes fordern. Es gilt also andere, themengemässere Wege und Rahmen von Ökotreffen und Tagungen zu finden. Aufgabe der Umwelterziehung - d.h. der UmwelterzieherInnen- ist es, diese Forderungen nicht nur zu erheben, sondern auch in der Praxis möglichst viel davon zu zeigen und vorzumachen. Wir müssen selbst die Einheit der Sinne, des Denkens und Handelns erleben und vorleben.

    Das ist sicher nicht immer leicht. Mut und Durchhaltevermögen sind nötig, um auch gegen eigene, bequeme Tagungsgewohnheiten anzugehen.

    Die Methode

    TEPPICH-VERKAUFEN

    kann dabei helfen.

    Vielleicht sollten wir zur Übung einmal tatsächlich Teppiche in den drei beschriebenen Varianten verkaufen.


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